Archiv für den Monat: Juni 2020

Wie funktionieren Fahrradstraßen?

von Gerhard Hippmann für Unser Dorf heute mit Aktualisierungen

„Nichtmotorisierter Verkehr ist bevorzugt” lautet eines der Ziele des Leitbilds der Gemeinde Weßling. Mit der Eröffnung der ersten Fahrradstraße am 21. Juni wurde endlich ein deutlicher Fortschritt in diese Richtung erzielt. Die gesamte Schulstraße, das südliche Ende des Walchstadter Wegs und der Meilinger Weg werden dann mit dem Verkehrszeichen „Fahrradstraße” und dem Zusatzzeichen „Kraftfahrzeuge frei” beschildert. Damit ändern sich die Verkehrsregeln laut StVO wie folgt:

  1. Für alle Fahrzeuge gilt Tempo 30 als zulässige Höchstgeschwindigkeit.
  2. Das Nebeneinanderfahren mit Fahrrädern ist ausdrücklich erlaubt.
  3. Der Radverkehr darf weder gefährdet noch behindert werden. Wenn nötig, muss der Kfz-Verkehr die Geschwindigkeit weiter verringern.

Alle anderen Verkehrsregeln ändern sich durch die Erklärung zur Fahrradstraße nicht. Insbesondere gilt weiterhin das Rechtsfahrgebot, und Kraftfahrzeuge dürfen Radfahrende überholen, wenn sie dabei den seitlichen Sicherheitsabstand von 1,5 Metern und Tempo 30 einhalten. Unverändert bleiben außerdem Parkflächen sowie Vorfahrtsregelungen an Einmündungen und Kreuzungen. Allerdings wurde die Vorfahrt an der Kreuzung mit der Grünsinker Straße bereits geändert, und bei Eröffnung der Fahrradstraße wurden auch die Regelungen an den beiden Einmündungen in den Walchstadter Weg angepasst, sodass der Radverkehr Vorfahrt genießt.

Verlauf der ersten Weßlinger Fahrradstraße mit geänderten Vorfahrtsregelungen

In Fahrradstraßen ist die Fahrbahn in erster Linie zum Radeln da. Kraftfahrzeuge spielen nur eine Nebenrolle. Sie sind verpflichtet, ihre Geschwindigkeit zu verringern und besonders rücksichtsvoll zu fahren. So machen Fahrradstraßen das Radeln sicherer und attraktiver. Gleichzeitig entschleunigen und verringern sie den Kfz-Verkehr, sodass die Lebensqualität steigt und die Umweltbelastung sinkt.

Um unserem Leitbild durch Fahrradstraßen näher zu kommen, müssen alle Verkehrsteilnehmer nicht nur die Verkehrsregeln kennen, sondern auch bewusst und uneigennützig umsetzen. Helfen Sie mit, die neue Fahrradstraße zum Erfolgsmodell zu machen!

Corona – wenn uns ein Virus die Wege weist…

von Gerhard Sailer für Unser Dorf heute

Manchmal musste ich während der vergangenen Wochen an das Jahr 1986, die Wochen und Monate nach Tschernobyl denken. Von einem Tag auf den anderen durften die Kinder nicht mehr draußen spielen und keine Milch mehr trinken. Das was uns Angst machte, die Radioaktivität, war genauso unsichtbar, wie jetzt das Virus. Wir mussten plötzlich überlegen, wie wir mit einer bisher unbekannten Bedrohung umgehen sollten. Auch jetzt treffen uns alle tiefgreifende Einschränkungen. Und es gibt kaum einen Bereich, auf den sie sich so gravierend auswirken, wie auf unser Mobilitätsverhalten: Home-Office statt Pendeln, Spaziergang statt Fahrt in die Berge, Lernen im Wohnzimmer und Spielen daheim, statt mit dem Schulbus in die Schule und dem Elterntaxi zum Training, Fahrrad statt Bus und S-Bahn, Ausgleich suchen in der Natur vor der Haustür statt Flug in die Ferne …

Für die einen ist dies Belastung und Einschränkung, andere empfinden Erleichterung und genießen es, zur Ruhe zu kommen. Der Himmel ist so blau wie schon ganz lange nicht mehr, und wenn ein Kondensstreifen zu sehen ist, ist es eine Besonderheit, wie damals in unserer Kindheit. Wo sonst der Autolärm alles überdeckt, ist jetzt wieder Vogelgezwitscher zu hören. Anstatt das Auto zu nehmen gehen wir zu Fuß zum Einkaufen – müssen uns ja eh bewegen und Zeit haben wir auch.

Und wie sie bei den Menschen das Gute und das Schlechte, die Hilfsbereitschaft der einen und den Egoismus der anderen, zum Vorschein bringt, so lässt uns die Krise auch ansonsten erkennen, was in unserem Alltag besser laufen könnte – oder sogar müsste?

Sprit so billig wie lange nicht – aber keiner tankt.

In unseren Orten sind plötzlich viele Fußgänger unterwegs, aber wenn sie Abstand zu Menschen, die ihnen entgegen kommen, halten wollen, sind die Gehwege zu eng und sie müssen weit auf die Fahrbahn ausweichen. Die wenigen Autos sollten viel vorsichtiger und langsamer unterwegs sein. Vielleicht wäre doch Shared Space im Ort eine Lösung, also die gleichberechtigte Nutzung des Straßenraums durch alle Verkehrsteilnehmer.

„Opa, auf der Straße von Unering nach Hochstadt konnten wir gar nicht schnell fahren. Da waren so viele Radler unterwegs, das war wie auf einem Radweg!“ erzählt mir mein Enkelkind ganz aufgeregt. Aber warum gibt es hier noch immer keinen Radweg?

„Unsere Fahrräder und vor allem die E-Bikes haben scheinbar das Toilettenpapier als Produkt der Begierde abgelöst“ berichtet ein Fahrradhändler. Toll, dass das Fahrrad so einen Boom erlebt, aber wenn wir den Radfahrern nicht mehr Platz einräumen, wird es mit der Begeisterung der neuen Radler bald wieder vorbei sein.

Denn auch solche Meldungen gibt es: „Radfahrerin übersieht Auto und kommt mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus“ schreibt der Kreisbote zu einem Unfall auf der Westumfahrung Starnberg. Beim Bau der Umfahrung hieß es, Radler seien hier nicht mehr erwünscht. Es würden Alternativrouten für sie geschaffen. Diese Alternativen für Radfahrer gibt es immer noch nicht.

„Doch gut, dass immer so große Linienbusse im Einsatz sind. Sechs oder sieben Fahrgäste können sich da gut verteilen!“ denke ich mir auf der Fahrt mit dem 955er nach Starnberg. Wenn es enger wäre, würde ich mich doch unwohl fühlen.

„Entschuldigung, könnten Sie mir etwas Wasser in meine Flasche füllen? Es ist ja nirgends etwas offen.“ bittet mich ein ziemlich verzweifelter Rennradler, der mich im Vorgarten sieht. Trinkwasserspender in unseren Orten wären für viele Wanderer und Radfahrer eine willkommene Hilfe.

Noch niemand ist vorwärts gekommen, indem er rückwärts gelaufen ist. Wir sollten die Gunst der Stunde für die Verkehrswende nutzen, alles andere wäre eine verpasste Chance.

Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann bei der Veranstaltung MobilitätsIMPULSE am 20. Mai 2020.