Archiv für den Monat: Dezember 2022

Mit Karacho in die falsche Richtung

Brief vom 10. April an Landrat Stefan Frey

Sehr geehrter Herr Frey,

haben Sie kürzlich in der SZ das Interview mit dem Klimaforscher Mojib Latif (Leiter der Forschungseinheit Maritime Meteorologie am Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel) gelesen? Er ist skeptisch, ob es noch gelingen kann, die Erderwärmung auf unter zwei Grad zu begrenzen: „Die Welt müsste den Rückwärtsgang einlegen und mit Höchstgeschwindigkeit in die andere Richtung fahren. Denn es ist nicht so, dass die Richtung stimmt und nur das Tempo nicht. Wir fahren in die falsche Richtung.“

Als ich diese Sätze las war mir klar, warum ich solches Bauchgrummeln habe, seitdem ich Herrn Schwarz zugesagt habe, ihn heuer bei der Öffentlichkeitsarbeit für das STAdtradeln zu unterstützen!

Seit elf Jahren beteiligt sich der Landkreis Starnberg nun an der Klimaschutzaktion Stadtradeln und nach wie vor fährt der Landkreis was die Mobilität betrifft ungebremst und mit Karacho in die falsche Richtung! In dieser Zeit wurde der Kfz-Verkehr unter anderem mit dem Bau von vier Ortsumfahrungen, dem sechsspurigen Ausbau der A 96 einschließlich aufwändiger Galerien und dem Baubeginn des Tunnels Starnberg gefördert. Vor allem beim Bau der Umfahrungen wurde nicht nur auf ein begleitendes Konzept für den Fuß- und Radverkehr verzichtet, nein, ganz bewusst wurde in Kauf genommen, dass wichtige Verkehrsverbindungen für Fußgänger und Radfahrer ganz unterbrochen wurden (Mamhofen – Umfahrung Starnberg, Mitterwies – Umfahrung Weßling, Allguth-Tankstelle – Umfahrung Gilching) und an einer Vielzahl weiterer Stellen wesentliche Verschlechterungen eintraten. Zitate Staatliches Bauamt Weilheim zu Mamhofen: „Radfahrer sind hier nicht mehr erwünscht!“ und zur Unterführung beim Kreisverkehr Dellinger Höhe: „Natürlich kann die Unterführung von Radfahrern nur langsam durchfahren werden. … Die neugebaute Straße ist auf Tempo 100 ausgelegt. Eine Geschwindigkeitsbegrenzung ist nicht angezeigt.“

Stadtradeln ist keine Werbeaktion für den Fremdenverkehr, es ist auch keine Trimm-Dich-Aktion! Stadtradeln ist eine Klimaschutz-Aktion! Wir sind mitten drin in der Klimakrise und auch mitten drin in einer akuten Energiekrise. Das kann beim Verkehr nur eines heißen: Wir müssen viel weniger mit dem Auto fahren und, wenn wir mit dem Auto fahren, muss es viel sparsamer geschehen! Und das betrifft Fahrzeuge mit Elektromotor nicht weniger, als solche mit Verbrennungsmotor.

Viele Stadtradler haben das längst erkannt und zeigen Jahr für Jahr, dass sie bereit sind für eine klimafreundliche Mobilität. Jetzt ist es höchste Zeit, dass der Landkreis den Radverkehr mit konkreten Maßnahmen wirksam fördert und Radfahrer schützt!

Der Landkreis will an einigen wenigen Kreisstraßen Radwege bauen – die ersten drei Kilometer zwischen Unering und Hochstadt sollen Anfang 2024 fertig sein, alle anderen Jahre später. Und bis dahin? Bis dahin nehmen Sie in Kauf, dass auf diesen Straßen – und vielen anderen – täglich Autos mit Tempo 100 und oft mit viel zu geringem Seitenabstand an Radfahrern vorbeifahren und diese gefährden. Warum nicht jetzt schnell handeln?

  • Geschwindigkeit auf Straßen ohne begleitenden Radweg auf 70 km/h begrenzen!
  • An Ortsausgängen auf den Mindestseitenabstand von 2 m hinweisen!
  • Straßen, wie z. B. die Verbindungen Gauting-Gilching, Oberbrunn-Unterbrunn, Rothenfeld-Machtlfing für den Kfz-Durchgangsverkehr sperren!
  • Direkte Verbindungen auf Feld- und Waldwegen, wie z. B. Hochstadt-Starnberg, Weßling-Wörthsee, Drößling-Landstetten alltagstauglich machen!
  • Radschnellwege Starnberg-Fürstenfeldbruck und Freiham-Gilching in Angriff nehmen!

Welche Vorschläge haben Sie? Das STAdtradeln 2022 startet am 27. Juni – womit wollen Sie die Radfahrer dazu motivieren, wieder mitzumachen? Und wie machen Sie den Menschen im Landkreis deutlich, dass Autoverkehr wie bisher in Zukunft nicht mehr möglich sein wird?

Mit freundlichen Grüßen,
Gerhard Sailer

Vierte Verkehrszählung in der Hauptstraße

Messstelle Gasthof Zur Post

Wie bereits in den Jahren 2015 (ein Jahr vor Eröffnung der Westumfahrung), 2017 (ein Jahr danach) und 2019 (vor der Corona-Pandemie) führte die Mobilitätswende in den beiden Wochen nach den Herbstferien zwei Verkehrszählungen in der Hauptstraße durch. Dabei wurden dieselben Messstellen wie in den Vorjahren gewählt: Vom 7. bis 13. November vor dem Biergarten des ehemaligen Gasthof Zur Post und vom 14. bis 20. November vor Hof Art. In dieser Zeit herrschte überwiegend ruhiges, noch nicht winterliches Herbstwetter. Es gab keine die Messergebnisse wesentlich beeinträchtigende Einschränkungen im umliegenden Straßennetz. Erneut kam das freundlicherweise vom VCD Bayern zur Verfügung gestellte Verkehrszählgerät Sierzega SR4 zum Einsatz.

Messstelle Hof Art

Der Zeitpunkt der Zählung ist insbesondere deshalb interessant, weil der zeitweise drastische Rückgang des Verkehrsaufkommens durch Kontaktbeschränkungen wegen der Corona-Pandemie der Vergangenheit angehörte. Daher kann durch Vergleich mit der letzten Zählung im Herbst 2019 auf pandemiebedingte Änderungen im Mobilitätsverhalten geschlossen werden.

Beim Gasthof Zur Post wurden von Montag bis Freitag durchschnittlich 10.592 Kfz gezählt, das sind 8 % weniger als 2019 (11.524) und 39 % weniger als 2015 (17.301). Bei Hof Art lag die mittlere Kfz-Anzahl werktags mit 9.251 um 15 % niedriger als 2019 (10.939) und 44 % niedriger als 2015 (16.561).

Dabei war der Rückgang gegenüber 2019 nicht gleichmäßig über den Tag verteilt, sondern konzentrierte sich auf die morgendliche Pendler:innenspitze zwischen sechs und neun Uhr. Dieses Phänomen ist wahrscheinlich auf vermehrte Arbeit im Homeoffice zurückzuführen.

Auch bei den durchschnittlichen Geschwindigkeiten gibt es einen positiven Trend. Beim Gasthof Zur Post gingen diese von 41 km/h (2015) über 38 km/h (2017 mit Fahrbahnverengungen) auf 33 km/h (mit Fahrbahnverengungen und Tempo 30) zurück. Bei Hof Art sank der Wert indes nur geringfügig von 46 auf 43 km/h.

Das klingt alles grundsätzlich gut. Allerdings wurde die Verkehrsbelastung durch die Umfahrung noch nicht einmal halbiert, und die Aufenthaltsqualität in der Hauptstraße ist weiterhin unterirdisch. Dabei steht außer Frage, dass die neue Straße das Kfz-Verkehrsaufkommen in unseren Nachbargemeinden erhöht hat. Der Neu- und Ausbau von Straßen für Kfz ist aus der Zeit gefallen und verschlingt wertvolle Ressourcen, die für die überfällige Verkehrswende fehlen.

Die Mobilitätswende stellt die erfassten Datensätze und Auswertungen der Öffentlichkeit zur Verfügung:

Gasthof Zur PostDatenAuswertung
Hof ArtDatenAuswertung