Brief vom 10. April an Landrat Stefan Frey
Sehr geehrter Herr Frey,
haben Sie kürzlich in der SZ das Interview mit dem Klimaforscher Mojib Latif (Leiter der Forschungseinheit Maritime Meteorologie am Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel) gelesen? Er ist skeptisch, ob es noch gelingen kann, die Erderwärmung auf unter zwei Grad zu begrenzen: „Die Welt müsste den Rückwärtsgang einlegen und mit Höchstgeschwindigkeit in die andere Richtung fahren. Denn es ist nicht so, dass die Richtung stimmt und nur das Tempo nicht. Wir fahren in die falsche Richtung.“
Als ich diese Sätze las war mir klar, warum ich solches Bauchgrummeln habe, seitdem ich Herrn Schwarz zugesagt habe, ihn heuer bei der Öffentlichkeitsarbeit für das STAdtradeln zu unterstützen!
Seit elf Jahren beteiligt sich der Landkreis Starnberg nun an der Klimaschutzaktion Stadtradeln und nach wie vor fährt der Landkreis was die Mobilität betrifft ungebremst und mit Karacho in die falsche Richtung! In dieser Zeit wurde der Kfz-Verkehr unter anderem mit dem Bau von vier Ortsumfahrungen, dem sechsspurigen Ausbau der A 96 einschließlich aufwändiger Galerien und dem Baubeginn des Tunnels Starnberg gefördert. Vor allem beim Bau der Umfahrungen wurde nicht nur auf ein begleitendes Konzept für den Fuß- und Radverkehr verzichtet, nein, ganz bewusst wurde in Kauf genommen, dass wichtige Verkehrsverbindungen für Fußgänger und Radfahrer ganz unterbrochen wurden (Mamhofen – Umfahrung Starnberg, Mitterwies – Umfahrung Weßling, Allguth-Tankstelle – Umfahrung Gilching) und an einer Vielzahl weiterer Stellen wesentliche Verschlechterungen eintraten. Zitate Staatliches Bauamt Weilheim zu Mamhofen: „Radfahrer sind hier nicht mehr erwünscht!“ und zur Unterführung beim Kreisverkehr Dellinger Höhe: „Natürlich kann die Unterführung von Radfahrern nur langsam durchfahren werden. … Die neugebaute Straße ist auf Tempo 100 ausgelegt. Eine Geschwindigkeitsbegrenzung ist nicht angezeigt.“
Stadtradeln ist keine Werbeaktion für den Fremdenverkehr, es ist auch keine Trimm-Dich-Aktion! Stadtradeln ist eine Klimaschutz-Aktion! Wir sind mitten drin in der Klimakrise und auch mitten drin in einer akuten Energiekrise. Das kann beim Verkehr nur eines heißen: Wir müssen viel weniger mit dem Auto fahren und, wenn wir mit dem Auto fahren, muss es viel sparsamer geschehen! Und das betrifft Fahrzeuge mit Elektromotor nicht weniger, als solche mit Verbrennungsmotor.
Viele Stadtradler haben das längst erkannt und zeigen Jahr für Jahr, dass sie bereit sind für eine klimafreundliche Mobilität. Jetzt ist es höchste Zeit, dass der Landkreis den Radverkehr mit konkreten Maßnahmen wirksam fördert und Radfahrer schützt!
Der Landkreis will an einigen wenigen Kreisstraßen Radwege bauen – die ersten drei Kilometer zwischen Unering und Hochstadt sollen Anfang 2024 fertig sein, alle anderen Jahre später. Und bis dahin? Bis dahin nehmen Sie in Kauf, dass auf diesen Straßen – und vielen anderen – täglich Autos mit Tempo 100 und oft mit viel zu geringem Seitenabstand an Radfahrern vorbeifahren und diese gefährden. Warum nicht jetzt schnell handeln?
- Geschwindigkeit auf Straßen ohne begleitenden Radweg auf 70 km/h begrenzen!
- An Ortsausgängen auf den Mindestseitenabstand von 2 m hinweisen!
- Straßen, wie z. B. die Verbindungen Gauting-Gilching, Oberbrunn-Unterbrunn, Rothenfeld-Machtlfing für den Kfz-Durchgangsverkehr sperren!
- Direkte Verbindungen auf Feld- und Waldwegen, wie z. B. Hochstadt-Starnberg, Weßling-Wörthsee, Drößling-Landstetten alltagstauglich machen!
- Radschnellwege Starnberg-Fürstenfeldbruck und Freiham-Gilching in Angriff nehmen!
Welche Vorschläge haben Sie? Das STAdtradeln 2022 startet am 27. Juni – womit wollen Sie die Radfahrer dazu motivieren, wieder mitzumachen? Und wie machen Sie den Menschen im Landkreis deutlich, dass Autoverkehr wie bisher in Zukunft nicht mehr möglich sein wird?
Mit freundlichen Grüßen,
Gerhard Sailer
Sehr geehrter Herr Sailer,
das Ganze passt insofern zusammen, als auch das „Stadtradeln“ primär ein billiges politisches Feigenblatt ist, welches dem Klimaschutz und dem Umdenken breiter Bevölkerungsgruppen kaum etwas bringen dürfte. Zumindest verhält es sich in meiner Gemeinde Gauting so, wo etwa 80% der hohen Kilometerzahlen von Schulkindern erradelt werden, die ohnehin nicht jeden Morgen entscheiden, ob sie nun das Auto oder doch das Rad nehmen. Da wird also kein Gramm co2 eingespart. Und sobald sie den Führerschein mit 17 haben, wollen doch alle mit dem Auto fahren, weil es „normal“ ist in unserer Gesellschaft.
Die nächste große Gruppe sind die Überzeugungs- und Alltagsradler, auch deren Werte stellen keine echte co2-Einsparung dar, denn die radeln auch in jedem Fall. Erschreckend klein bleibt dann der Beitrag derer, die wirklich wegen Stadtradeln einmal(!) bewusst das Auto stehen lassen. Besonders nett sind Stadtradelleistungen, die groß herausgestellt werden, wie beispielsweise eine Fahrt an den Gardasee. Wenn man dann weiß, dass die restliche Familie den Fahrer dort mit dem Auto abgeholt hat, mag man kaum noch lächeln. Oder Menschen laden die Räder aufs Auto, fahren fast 100 km ins Grüne, um dort dann 20 km fürs Stadtradeln zu erstrampeln, das kann es doch nicht sein. Und analog wie bei Ihnen, für den Alltagsradverkehr passiert – nichts!
Mit freundlichen Grüßen und besten Wünschen für ein unfallfreies 2023
Peter Kleinknecht
Ihre Kritik am STAdtradeln ist berechtigt, aber einseitig. Es gibt auch positive Aspekte:
* In einigen Gemeinden ohne weiterführende Schulen (z. B. Seefeld, Weßling) wird das STAdtradeln in erster Linie von Unternehmen getragen. Hier radeln also überwiegend Pendler:innen um die Wette.
* Mir sind eine ganze Menge Menschen bekannt, die durch das STAdtradeln zu deutlich mehr oder sogar vollkommen autofreier Mobilität bewegt wurden.
* Durch das STAdtradeln ist Radfahren jedes Jahr einige Wochen Thema in der Presse.
* Das STAdtradeln stellt eine bekannte und beliebte, mit relativ wenig Aufwand im ganzen Landkreis organisierbare Radlaktion dar. Haben Sie eine bessere Idee, um den Radverkehr mit den begrenzten zur Verfügung stehenden Ressourcen zu fördern?
danke für die Horizonterweiterung. Das war so für mich bislang nicht wahrnehmbar, freut mich aber dann doch.
Was jede Gemeinde mit geringem Aufwand tun könnte, wäre das Aufstellen sichtbarer Schilder an den Ortseinfahrten, die freundlich für die Einhaltung des Seitenabstandes beim Überholen von Radfahrenden werben. In manchen Gemeinden gibt es das schon. Und auf der Rückseite, also Ortsausgänge, könnte dann noch auf die dort geltenden zwei Meter Überholabstand hingewiesen werden. Wenn das dann noch hie und da von den Ordnungshütern kontrolliert würde, wäre wahrscheinlich viel für das Sicherheitsempfinden der Radler*innen gewonnen. Das sollte auch mit überschaubaren Ressourcen machbar sein, es geht mehr um den (politischen) Willen, so etwas umzusetzen.
Da haben Sie sehr recht! Das ist auch für mich ein großes Anliegen. Leider hat unser Landrat dafür kein offenes Ohr.
Bei der Gemeinde Weßling werde ich entsprechende Schilder/Transparente beantragen.