Archiv für den Monat: Januar 2024

Rückblick auf das elfte Jahr

Seit nunmehr elf Jahren setzt sich die Mobilitätswende für nachhaltige und menschenfreundliche Mobilität in der Gemeinde Weßling ein. Dieser Beitrag gibt einen Überblick über die Aktivitäten im vergangenen Jahr 2023.

Business Ridesharing

Am 28.10.2020 hatte der Ausschuss für Umwelt, Klimaschutz, Energie und Mobilität beschlossen, die in der Gemeinde tätigen Unternehmen durch betriebliches Mobilitätsmanagement zu unterstützen. Eine daraus resultierende Maßnahme war die Einführung von Business Ridesharing, welches in 2022 entwickelt und in 2023 eingeführt wurde. Seit Mai steht den Mitarbeiter:innen des DLR Oberpfaffenhofen, der VR-Bank Starnberg-Herrsching-Landsberg und den Gemeindeverwaltungen Gilching und Weßling die App-basierte Mitfahrplattform SAMi zur Verfügung. Sie ermöglicht flexibel und in Echtzeit die Bildung von Fahrgemeinschaften, sodass die Kfz-Verkehrsbelastung durch Pendler:innen sinkt.

Rathaus-Carsharing

Eine weitere Möglichkeit zum Autoteilen wurde für alle Gemeindebürger:innen geschaffen: Seit April steht ein von der Energiegenossenschaft Fünfseenland bereit gestelltes E-Auto zur Verfügung, das von der Gemeindeverwaltung als Dienstfahrzeug genutzt wird. Darüber hinaus kann es von STATTAUTO-Mitgliedern gebucht werden (Artikel in Starnberger SZ und Kreisbote). Nach den ersten Monaten sieht es ganz so aus, als ob dieses Angebot gut angenommen wird. Das ist erfreulich, denn durch Carsharing können einige der gravierenden Nachteile privat genutzter Autos deutlich reduziert werden.

Tempo 30

Eine Senkung der zulässigen Geschwindigkeit innerorts auf 30 km/h macht den Straßenverkehr wesentlich sicherer und menschenfreundlicher. Gemäß einem Gemeinderatsbeschluss wurde im August die 30-Zone Kirchenstraße/Starnberger Feldweg in Hochstadt erweitert um Angerweg, Wiesenweg und Am Wiesmahtweg. Damit kam die Gemeinde dem wünschenswerten Ziel Tempo 30 auf allen Gemeindestraßen einen guten Schritt näher. Es ist höchste Zeit, dass endlich 30 km/h als Regelgeschwindigkeit in geschlossenen Ortschaften eingeführt wird – denn diesbezüglich sind die Bürger:innen schon viel weiter als der Gesetzgeber.

Buswartehäuschen

Nach jahrelanger Verzögerung wegen ausstehender Genehmigung des Landratsamts konnte in 2023 endlich ein Unterstand für die Haltestelle Neuhochstadter Straße errichtet werden. Wegen Mindestabstandsvorgaben zur Kreisstraße wurde leider nur ein Häuschen in Richtung Hochstadt, nicht aber in Richtung Oberpfaffenhofen genehmigt. Dennoch ein Fortschritt zum Ziel, sukzessive alle Bushaltestellen der Gemeinde mit Unterständen auszustatten. Zwei weitere Bushäuschen wurden bereits am 11.05.2022 vom Ausschuss für Umwelt, Klimaschutz, Energie und Mobilität beschlossen, aber bisher nicht realisiert.

Kidical Mass

Am 13. Mai fand zum zweiten Mal eine Kidical Mass in der Gemeinde Weßling statt. Bei unsicherem, letztendlich aber doch trockenem Wetter radelten knapp 70 Kinder und Erwachsene mit viel Vergnügen und ohne Lebensgefahr durch Kfz-Verkehr die Gautinger Straße, Hauptstraße und Ettenhofener Straße entlang. Selbst die begleitende Polizeistreife hatte sichtlich ihren Spaß an der Aktion, über die der Starnberger Merkur berichtete.

STAdtradeln, Radl Werkstatt, LaRa 1 und Radltag

Das STAdtradeln (seit 2011), die Radl Werkstatt (seit 2015) sowie das Leihlastenpendelec LaRa 1 (seit 2018) und der Radltag (seit 2019) der Nachbarschaftshilfe haben sich über die Jahre zu Institutionen entwickelt, welche die Radlkultur der Gemeinde Weßling prägen – und im Jahr 2023 weiterhin gepflegt wurden. Das ist einerseits erfreulich, liefert andererseits aber keine neuen Impulse mehr, um den für eine gelingende Mobilitätswende nötigen tiefgreifenden Wandel anzustoßen.

Fahrradabstellanlagen

Die im Jahr 2023 neu errichteten Fahrradabstellanlagen für die Gebäude Nr. 32 und 34 a/b in der Hauptstraße, das Freizeitheim und die neue Schule wurden bereits in einem eigenen Beitrag gewürdigt. Jedoch konnte die ebenfalls für 2023 beschlossene Sanierung und Erweiterung der Abstellanlagen am Bahnhof leider nicht realisiert werden, weil es formale Unstimmigkeiten mit der Förderung gab. Erfreulicherweise sieht es mittlerweile aber (wieder) ganz so aus, als ob dieses für die Radler:innen der Gemeinde wichtigste Projekt in 2024 umgesetzt werden wird.

Straßen- und Brückensanierung

Vom 18. April bis zum 4. August wurde die Brücke Hauptstraße-Steinebacher Weg saniert. Wegen der damit verbundenen Vollsperrung wurden in dieser Zeit der Meilinger Weg und die Grünsinker Straße zu Einbahnstraßen erklärt. Die anschließenden Straßenbauarbeiten im Schulumfeld zogen sich noch bis Anfang September hin. Während dieser mehr als vier Monate zur Hauptfreizeitradlsaison waren wichtige Radrouten zugunsten von Kfz-Umleitungen unterbrochen und/oder mit starkem Kfz-Verkehr belastet. Trotz zahlreicher Beschwerden und Hinweise gelang es dem ausführenden Bauunternehmen, der Gemeinde und der unteren Verkehrsbehörde bis zuletzt weder eine sichere Führung, noch eine verständliche Umleitung für den Radverkehr herzustellen. Hier wurde auf frappierende Weise deutlich, wie weit Gemeinde und Landkreis von echter Fahrradfreundlichkeit entfernt sind, zumal ihnen die AGFK Bayern vorbildliche Leitfäden für Baustellen und Umleitungen zur Verfügung stellt.

Kommunalpolitik

Nach ziemlich vielen Fortschritten in den Jahren 2020 und 2021 hatte es 2022 einige herbe Rückschläge in der gemeindlichen Politik gegeben. Über Jahre entwickelte, essenzielle Maßnahmen auf dem Weg zur fahrradfreundlichen Gemeinde wurden von einer fraktionsübergreifenden Autolobby im Gemeinderat verhindert. Um weitere Fehlentscheidungen zu vermeiden wurde das politische Engagement für nachhaltige Mobilität in 2023 weitgehend zurückgefahren und vorwiegend bereits laufende Projekte fortgeführt.

Negativ schlagen folgende Punkte zu Buche:

Außerdem wurde in mehreren Gemeinderatssitzungen die mittlerweile realisierte Schulwegplanung beraten. Dabei wurde einmal mehr in langwierigen Diskussionen das vom Verkehrsplanungsbüro erarbeitete Konzept weitgehend entkernt und durch ein Sammelsurium von Einzelmaßnahmen aus Windschutzscheibenperspektive ersetzt. Fortschritte in Richtung kindgerechte und menschenfreundliche Mobilität, wie die Sperrung des Uferwegs für den Kfz-Verkehr, wurden ersatzlos gestrichen. Selbst die Ausweisung des östlichen Steinebacher Wegs als für den Kfz-Verkehr freigegebene Fahrradstraße fand nur aufgrund dringender Empfehlung des Planers eine Mehrheit.

Sonstiges

In einem Leserbrief nahm die Mobilitätswende zu einem Bericht der Starnberger SZ über Taxis als Linienbusersatz Stellung. Außerdem lieferte sie Beiträge zu UNSER DORF heute über den Swipe+Ride-Tarif sowie die GehCheck-App. Mit letzterer gelang eine umfangreiche Sammlung von Mängeln und Verbesserungsvorschlägen für den Fußverkehr in der Gemeinde Weßling.

Fazit

Im Jahr 2023 gab es in der Gemeinde durchaus einige Fortschritte in Richtung nachhaltige Mobilität, die allerdings bereits in den Vorjahren auf den Weg gebracht worden waren. Neue Projekte wurden indes nicht initiiert. Schwerer wiegen freilich geglückte Anschläge auf die Verkehrswende, die die ungünstigen Randbedingungen vor Ort festschreiben. In erster Linie sind hier auf Landesebene der Radentscheid Bayern und auf Bundesebene die Novellierung des Straßenverkehrsgesetzes hervorzuheben, welche jeweils durch machtpolitische Manöver zu Fall gebracht wurden. Zudem ist aufgrund des aktuellen Rechtsrucks zu erwarten, dass sich das verkehrspolitische Klima in absehbarer Zeit eher noch verschlechtern wird. Insgesamt also keine guten Aussichten für menschenfreundlichere Mobilität in der Gemeinde Weßling.

Die Sicherheit, die sich Leute in Autos nehmen, bedeutet Unsicherheit für die schwächeren Verkehrsteilnehmer:innen. Man sehe sich nur einmal an, wie kleine Kinder sich in Städten benehmen müssen. Nicht rennen. Immer gucken. Langsam. Warten. An der Hand. Autos bedeuten für sie Unfreiheit.

Aus dem Beitrag Feministische Mobilität von Elsa Koester im Buch Linksverkehr, 2021.