Die Zertifizierung des autogerechten Landkreises STA als fahrradfreundliche Kommune hatte bei Radler:innen für viel Kopfschütteln gesorgt, weil sie nicht annähernd den Tatsachen entspricht. Die Gemeinde Weßling wollte es besser machen und strebte eine wirklich verdiente Zertifizierung an. Doch dieses Vorhaben wurde im Jahr 2022 durch aus der Zeit gefallene Gemeinderatsbeschlüsse zunichte gemacht.
Verkehrsplanung Grundschule
Die aus Windschutzscheibenperspektive konzipierte Verkehrsplanung für die neue Grundschule wurde bereits in einem eigenen Beitrag gewürdigt. Hier wurde verpasst, eine an der Zukunft ausgerichtete, kindgerechte und fahrradfreundliche Lösung zu realisieren.
Fahrradzone/-straße Pfarrstadel
Bereits im Januar 2018 hatte der Gemeinderat die Einführung zweier Fahrradstraßen befürwortet. Die erste Fahrradstraße zwischen Bahnhofstraße und Meilinger Weg wurde im Juni 2020 eröffnet und hat sich seitdem bestens bewährt.
Über die zweite Fahrradstraße zwischen Ettenhofener Straße und Steinebacher Weg wurde in der Gemeinderatssitzung am 27. September 2022 beraten. Diese Verbindung ist Teil des landkreisweiten Alltagsradroutennetzes sowie des Radfernwegs München-Bad Wörishofen (Ammersee-Radweg). Hinzu kommt, dass es sich mit Eröffnung der neuen Schule um den am stärksten frequentierten Schulweg handeln wird. Eine Fahrradstraße oder -zone ist hier offenkundig ein geeignetes und kostengünstiges Mittel, um radelnde Schulkinder und begleitende Eltern gegenüber dem Kfz-Verkehr zu stärken und das Nebeneinanderfahren zu gestatten.
Doch wie schon bei der Verkehrsplanung für die Schule wurde die Maßnahme von autofreundlichen Rät:innen mit viel Eifer und wenig Sachkunde erfolgreich bekämpft: Bei Abwesenheit dreier radlaffiner Mitglieder wurde dieser wichtige Meilenstein auf dem Weg zur fahrradfreundlichen Gemeinde mit 8:9 Stimmen unerwartet abgelehnt.
Steinebacher Weg
Mit den Verbindungen Oberpfaffenhofen-Unterbrunn, Hochstadt-Unering und Weßling-Steinebach fehlen der Gemeinde Weßling noch drei interkommunale Radwege zur Anbindung an das Alltagsradroutennetz des Landkreises. Da es sich bei den beiden zuerst genannten um Staats- bzw. Kreisstraßen-begleitende Geh- und Radwege handelt, ist die Gemeinde nur für den Steinebacher Weg zuständig und handlungsfähig. Ein alltagstauglicher Ausbau ist hier relativ einfach und ohne Flächenverbrauch durch Asphaltierung des bestehenden Wirtschaftsweges realisierbar, sodass eine sowohl für den Radverkehr, als auch für den landwirtschaftlichen Verkehr optimal funktionierende und langlebige Oberfläche zur Verfügung steht.
Mit dem Förderprogramm Radoffensive Bayern wollte die bayerische Staatsregierung in 2022 interkommunale Radwege im Wald und entlang von Bahnlinien voran bringen. Aus 325 eingereichten Projektideen wurde dank monatelangem intensiven und beharrlichen Einsatz der Gemeindeverwaltung der Ausbau des Steinebacher Wegs als eines von 27 Vorhaben ausgewählt. Die damit verbundene Förderzusage von traumhaften 80 % machte es möglich, die geschätzten Kosten für den Ausbau des Abschnitts auf Weßlinger Flur von 139 k€ auf 28 k€ zu senken.
Es ist absehbar, dass der erste, 270 m lange Teilabschnitt bis zur dort entstehenden landwirtschaftlichen Betriebsstätte demnächst ohnehin asphaltiert werden wird. Durch die bewilligte Förderung bestand die einmalige Chance, zu weniger als halb so hohen Kosten den gesamten Weg bis zur Gemeindegrenze auszubauen.
Drei Viertel der amtierenden Gemeinderät:innen gehören Fraktionen an, die im Kommunalwahlkampf 2020 den Bau von Radwegen versprochen haben:
„Durch Ausbau bzw. Einfordern alltagstauglicher Radrouten nach Unterbrunn, Steinebach und Unering wollen wir die Gemeinde zur wirklich fahrradfreundlichen Kommune machen.“
Wahlprogramm Grüne Weßling
„Stärkung des Radverkehrs innerorts und Ausbau der Radwege zu den Nachbargemeinden.“
Ziele Freie Wähler Weßling
„Das Fahrradwege-Netz ausbauen“ und „bestehende Fahrrad- und Fußwege pflegen und auch im Winter nutzbar machen.“
Wahlprogramm SPD Weßling
Dennoch stimmte am 22. November 2022 auch in dieser Sache mit 9:10 eine hauchdünne Mehrheit (bei zwei abwesenden radlaffinen Rät:innen) gegen den alltagstauglichen Ausbau. Als Begründung wurde vorgebracht, dass sich der Seefelder Gemeinderat zuvor dagegen entschieden hatte – wie gewohnt hatte es keine Initiative aus dem Landratsamt gegeben, um die Umsetzung dieser Maßnahme aus dem Alltagsradroutennetzkonzept zu koordinieren. So kam es, dass im Dezember auch noch der Wörthseer Gemeinderat den Ausbau ablehnte, obwohl dort Radler:innen wegen starker Gefälle besonders hoher Sturzgefahr ausgesetzt sind.
Diese drei Fehlentscheidungen haben die bislang erfolgreich verlaufene Umsetzung der fahrradfreundlichen Gemeinde Weßling auf der Zielgerade zu Fall gebracht. Nun ist fraglich, ob es noch in dieser Wahlperiode zur Zertifizierung kommen wird, oder ob diese auf die Amtszeit des folgenden Gemeinderats vertagt wird, in dem es hoffentlich mehr Verständnis und stabile Mehrheiten für die Radverkehrsförderung geben wird.